Sonntag, 23. Oktober 2011

Schweizer wählen…

Ja, mein Pass ist rot und trägt das Schweizerkreuz.
Das war schon immer so - ich bin hier geboren, aufgewachsen und habe mein bisheriges Leben nur hier verbracht.
ABER es gibt zwei Dinge anzufügen:

Erstens, ich wähle nicht die SVP *– wird mir also das SchweizerIn-sein aberkannt?
Weil ich nicht auf der Parteilinie einer schon fast nationalistischen Partei mit dem Verdacht auf Personenkult bin? Die Schweiz anders, nämlich als Zusammenspiel verschiedener Kulturen, Sprachen. Ja, die Romandie, das Tessin und die rätoromanische Schweiz gehören für mich dazu völlig, vollständig und sehr definierend dazu. Ach ja, Henri Dunant gab es auch, ein Teil der Schweiz, auf den ich wirklich stolz bin, das für mich mehr als das Verschanzen hinter den Grenzen die Schweiz ausmacht.
Viele beeindruckende Menschen haben hier gelebt, viele Einflüsse haben mein Bild einer von mir auch sehr geliebten Schweiz geprägt, aber das möchte ich hier nicht näher ausführen, denn ich möchte zu Punkt Nummer zwei kommen (ja, ich werde jetzt auch mal sehr plakativ)

Zweitens, tatsächlich bin ich abstammungsmässig nur zur Hälfte Schweizerin und stolz auf die anderen Kulturkreise, denen meine genetische Familie entstammt… ich wage es tatsächlich auch einen positiven Bezug zu meinem bulgarischen und griechischen Teil herzustellen, mich ein klein wenig in der Geschichte des Balkans, Bulgariens russischer Prägung, der langen und wechselvollen Historie Hellas zu beschäftigen und faszinieren zu lassen.
Bekomme ich jetzt nur noch das halbe Stimm- und Wahlrecht? Weil ich ja mit meiner deutschen Mutter (auch ein Ergebnis der aktiven Völkerverständigung und vielseitiger Abstammung) ein klein wenig ein Feindbild bin. Auch noch europaoffen, wenn auch durchaus EU-kritisch – aber eben jemand, der die Sachpolitik und Diskussionskultur schätzt.
(Natürlich gelingt es mir selber manchmal nicht.)
Leider kenne ich Diskriminierung zu gut, sei es auch nur aufgrund meines sehr urchigen Dialektes, der einige Schweizer zu der Bemerkung veranlasst, dass sich mich als Ausländerin ja ganz beachtlich schlagen würde…
Ähem ja, die Schweiz ist tatsächlich mehr als Bern, Zürich oder die Innerschweiz, es gibt auch die Sprachgrenzen und verschiedene Kantone, eine Vielseitigkeit, die wir manchmal nicht einmal im eigenen Land anerkennen, wenn die Kantone verschieden sind und ticken.
(Manchmal muss aber auch mal ein Machtwort gegen den Kantönligeist gesprochen werden, besonders wenn man den Blick auf Appenzell Innerrhoden lenkt und wie lange es dort dauerte, bis man den Frauen auch das kantonale Stimm- und Wahlrecht gewährte.)
Nein, wir Schweizer wollen keine Einmischung und wir haben die Möglichkeit, viel schneller und direkter der Politik mal ein Stoppzeichen zu zeigen, nur hat sich das in Richtung Isolationismus und geistige Inzucht bewegt, was mich nachdenklich stimmt. Manchmal macht es mir auch wirklich Angst.
Dabei bin ich jemand, der sehr viel wert auf die Rückbesinnung auf alte Traditionen legt, sich sehr mit Geschichte, den guten wie schlechten Aspekten von Entscheidungen früherer Generationen und Individuen beschäftigt.
Doch wehre ich mich entschieden gegen die Verklärung, dass früher alles besser war.
War es nicht.
Nicht mal bei den Kelten. Nicht mal in den goldenen Zeiten von Atlantis oder in Utopia, das wir manchmal errichten möchten, um den Schmerz in unseren Seelen über das Leid vielleicht ein wenig betäuben zu können. Dass es besser werden kann.
Nein, genauso wenig war in der bäuerlich geprägten Schweiz alles gerecht, gut und naturverbunden – da gab es eine Menge Ungerechtigkeit, Neid, Habgier und Verachtung. An dieser Stelle möchte ich eine genaue Lektüre von Jeremias Gotthelfs Romanen ans Herz legen, er hat sehr viel Sozialkritik in seinem Werk dargelegt, Missstände niedergeschrieben.

Schwierig ist zu erkennen, dass die Veränderung im Kleinen vor sich geht. Stück für Stück, Tat für Tat.
Aufstehen, Meinung kundtun, zuhören und nachvollziehen versuchen, abwägen und wissen, dass man eben nicht allwissend ist.
Allwissend war auch Sokrates nicht, dieser grosse Geist, prägte er ja das geflügelte Wort: „Ich weiss, dass ich nichts weiss.“
Was nicht bedeutet aufzugeben, sondern weiterzusuchen, aber die Grösse des uns umgebenden anzuerkennen, nicht um ultimative Antworten, sondern vielleicht mehr Verständnis für Zusammenhänge und Weisheit zu bitten.
Denn irgendwie streben wir durch lesen und lernen, durch Suche und das in Frage stellen nach Wissen und Weisheit, ersteres um das zweite erlangen zu können, so kommt es mir vor, ist meine persönliche Meinung
Leider, das ist etwas, das ich glaube zu verstehen, gibt es keine einfachen Antworten, manchmal findet man sogar nur etwas präzisere Fragen – und Hoffnung, dass wir Menschen uns weiterentwickeln, mit Rückbesinnung auf die Wurzeln fliegen lernen!

Früher war nicht alles besser, aber auch nicht schlechter und wir können Wissen bewahren, weitergeben, gemeinsam daran arbeiten – manchmal ein altmodischer, manchmal ein futuristischer Ansatz, aber eigentlich ein sehr wichtiger.
Wage es, mit anderen ZUSAMMEN-zu-arbeiten, Dinge zu schaffen, sich zu vernetzen.
Wage es, ein Individuum zu werden, eine eigene Meinung zu bilden und noch zuhören zu können.

Jenseits von Vereinfachungen, jenseits von Feindbildern – sondern für etwas.


*Schweizerische Volkspartei, eine Partei im rechten Lager, seit einigen Jahren die stärkste Kraft/Partei in der Schweiz sind, die leider auch eine sehr vereinfachte, durch Slogans schlagende Werbekampagne haben, unter anderem ein Plakat auf dem steht „Schweizer wählen SVP“ – ein Spruch, der nicht nur mir sauer aufstösst

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